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Titel: Urteil (Überholen einer Kolone )
Verfasst am: 26.09.2003, 16:59 Uhr #6
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Anmeldung: 25. Sep 2003
Beiträge: 122
Wohnort: Berlin
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Der Sachverhalt
791
Krad A überholt auf Landstraße eine Fahrzeugkolonne, die sich hinter einem Radlader gebildet hat und kollidiert mit Kfz B, das vor A ebenfalls zum Überholen ausschert. Einzelheiten des Unfalls bleiben ungklärt.
OLG-Urteil, Juni 2001
Haftungsverteilung
Haftungsverteilung: B 100 %
Prozessbeteiligte: A=Kläger, B=Beklagter
Gericht: OLG Karlsruhe
Datum: 08.06.2001
Aktenzeichen: 10 U 77/01
Quelle: OLGR Karlsruhe 2002, 61
Urteilsgründe
Die Beklagten sind gem. den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflVG verpflichtet, dem Kläger in vollem Umfang den durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden zu ersetzen. …
Das Berufungsvorbringen, mit dem die Beklagten eine Verurteilung auf der Grundlage einer von ihnen zu übernehmenden Haftung i.H.v. lediglich 70 % anstreben, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Entscheidung des LG zutreffend, wonach die Beklagten dem Grunde nach die volle Haftung bezüglich des Verkehrsunfalls trifft, weil nach der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme der Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 4 S. 1 StVO feststeht und die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers bei der nach den §§ 7, 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge vollständig hinter dem gravierenden Verschulden des Beklagten zu 1), für das die Beklagte zu 2) als dessen Haftpflichtversicherer gleichfalls einzustehen hat, zurücktritt. …
1. Ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Klägers ist nicht festzustellen.
a) Nach der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger einen i.S.d. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ausreichenden Seitenabstand zum überholten Fahrzeug des Beklagten zu 1) eingehalten hat. Der Zeuge G. hat glaubhaft bekundet, dass der Seitenabstand des Fahrzeugs des Klägers zu dem des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt des Überholvorganges etwa einen knappen Meter betragen habe. Dies war auch ausreichend. In der Regel reicht ein Meter Seitenabstand beim Überholen aus (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 5 StVO Rz. 54; BayObLG v. 13.3.1987 – RReg.2 St 52/87, MDR 1987, 784). Selbst wenn der Seitenabstand bei knapp unter einem Meter war, liegt kein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO vor. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 5 Abs. 4 S. 2 StVO liegt insbesondere darin, Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 5 StVO Rz. 54). Der Seitenabstand darf nicht so bedrängend eng sein (BGH VersR 1965, 87), dass er Fehlreaktionen heraufbeschwört. So war es vorliegend nicht. Der Beklagte zu 1) hatte bis zum Unfall von dem bereits begonnenen Überholvorgang des Klägers überhaupt nichts bemerkt.
Der Seitenabstand wäre mit knapp einem Meter nur dann zu gering gewesen, wenn die Fahrbahn in einem schlechten Zustand oder das Wetter ungünstig gewesen wäre, der Kläger mit hoher Geschwindigkeit überholt hätte oder der Beklagte zu 1) als Überholter zuvor eine unsichere Fahrweise an den Tag gelegt hätte.
b) Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, er habe sich über die Verkehrssituation vor dem zu überholenden Klein-Lkw des Beklagten zu 1) nicht vergewissert. Eine solche Verpflichtung traf den Kläger nicht. Insbesondere ergab sich daraus, dass sich vor dem Beklagten zu 1) ein langsam fahrender Radlader befand, keine unklare Verkehrslage, bei der gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen unzulässig ist. Das wäre lediglich dann anders zu beurteilen, wenn für den Kläger, bevor er zum Überholen ansetzte, bereits Anzeichen dafür vorgelegen hätten, dass der Beklagte zu 1) seinerseits im Begriff war, einen Überholvorgang einzuleiten. Dies war jedoch nicht der Fall. Damit durfte der Kläger aus der Kolonne heraus, die sich hinter dem Radlader gebildet hatte, den Lkw des Beklagten zu 1) überholen. Denn von mehreren hintereinander fahrenden Fahrzeugen hat dasjenige Vortritt beim Überholen, das zuerst korrekt hierzu ansetzt. Allein der Umstand, dass sich hinter einem langsam fahrenden Fahrzeug eine Kolonne gebildet hat, begründet für die weiter hinten in der Kolonne befindlichen Fahrzeugführer keine unklare Verkehrslage mit der Folge, dass jeweils nur der Vorausfahrende überholen dürfte. Ansonsten wäre bei fehlender Überholabsicht der vorausfahrenden Fahrzeugführer ein Überholen durch weiter hinten befindliche Fahrzeuge und damit ein Auflösen der Kolonne ausgeschlossen (Hentschel, NJW 1993, 1171 [1175]).
2. Eine Mithaftung des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr kommt nicht in Frage.
Zwar verkennt der Senat nicht, dass ein Kraftrad, das auf der linken Seite eine Kolonne überholt, eine erhebliche Betriebsgefahr bildet (OLG Stuttgart VRS 5, 18; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 17 StVG Rz. 9). Diese ist aber nicht höher zu bewerten als die eines Lkw mit Anhänger, der aus einer Fahrzeugkolonne ausschert.
Jedenfalls tritt die vom Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr gegenüber dem grob schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) zurück.
Der Beklagte zu 1) hat einen erheblichen Verkehrsverstoß begangen, weil er zum Überholen ausgeschert ist, ohne dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen war. Diese hat sich sogar durch die Berührung des Kraftrades des Klägers verwirklicht. … |
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